EU Kommission stuft Titandioxid als „möglicherweise krebserregend“ ein

Pigmentverband kann folgenschwere Einstufung von Titandioxid ohne weitreichende Folgenabschätzung nicht nachvollziehen.

Die EU-Kommission hat am 04. Oktober 2019 entschieden, das Weißpigment Titandioxid als einen „Stoff mit Verdacht auf krebserzeugende Wirkung durch Einatmen“ zu klassifizieren – und das obwohl sich die Mehrheit der Experten der Mitgliedsstaaten auf der Sitzung am 18.09.2019 dagegen ausgesprochen hat.

Während bisher die Zustimmung der Experten nötig war, kann die Kommission durch eine Verfahrensumstellung auf einen sogenannten Delegierten Rechtsakt im Juli dieses Jahres nun auch im Alleingang eine solche Entscheidung treffen. Bereits im Vorfeld zur Sitzung im September kündigte die Kommission an, unabhängig von den Einwänden der Experten im Verfahren fortschreiten zu wollen. „Dies ist für uns in keiner Weise nachvollziehbar. Die Einstufung ist weder aus toxikologischer Sicht begründet, noch wird sie einen positiven Effekt im Gesundheits- oder Umweltschutz haben“, sagt Dr. Heike Liewald, Geschäftsführerin des Verbands der Mineralfarbenindustrie (VdMi).

Mit der Einstufung von Titandioxid wird damit erstmals ein Stoff auf Basis von stoffunspezifischen, allgemeinen Partikeleffekten eingestuft. Dies ist nicht im Sinne der CLPVerordnung. „Die Brüsseler Behörden hätten gut daran getan, sich dem Vorschlag von Deutschland anzuschließen, Titandioxid über den allgemeinen Staubgrenzwert im Rahmen des Arbeitsschutzes zu behandeln. Deutschland hatte bereits vor über einem Jahr die Einrichtung einer Expertengruppe vorgeschlagen, die einen harmonisierten, europäischen Grenzwert für derartige Stäube erarbeiten sollte. Diese Chance ist nun vertan, stattdessen wurde ein Präzedenzfall geschaffen: Die zur Begründung der Einstufung herangezogenen Argumente lassen sich auch auf andere Stoffe mit ähnlicher Staubproblematik übertragen, was weitere Einstufungen einzelner Stoffe aufgrund von stoffunabhängigen Effekten zur Folge haben könnte“, begründet der VdMi die Kritik.

Die Einstufung von Titandioxid und die damit verbundenen, folgenschweren Konsequenzen sind unverhältnismäßig, der Nutzen der Einstufung konnte von der EU-Kommission bisher nicht belegt werden. Dies sind nur einige Gründe, warum Verbände und Unternehmen aus vielen Industriezweigen im Vorfeld für eine detaillierte Folgenabschätzung geworben haben, wie sie in einer Interinstitutionellen Vereinbarung zur besseren Gesetzgebung für Delegierte Rechtsakte auch festgehalten wurde. Die EU Kommission verweigerte jedoch ein solches Vorgehen.

Pulverförmige Produkte mit Titandioxid müssen jetzt eingestuft und gekennzeichnet werden. Ergänzend sind Zusatzkennzeichnungen für flüssige und feste Gemische mit Titandioxid vorgesehen, unabhängig davon, ob überhaupt eine Freisetzung von Titandioxid am Arbeitsplatz oder beim Verbraucher zu erwarten ist.

„Verbraucher kommen nicht mit Titandioxid-Staub in Kontakt, in nahezu allen Fällen ist Titandioxid in Lacken, Farben oder Kunststoffen in eine Matrix aus Bindemittel gebunden“, sagt Dr. Heike Liewald und schließt sich damit dem Gutachten des europäischen Gremiums zur Risikobewertung (RAC) an. „Eine Gefahrenkennzeichnung an Produkten, die nicht gefährlich sind, führt einerseits zu einer übermäßigen Verunsicherung der Verbraucher und birgt andererseits die Gefahr, dass die Verwender abstumpfen und solche Hinweise nicht mehr ernst nehmen.“

 

 

Auswirkungen

Auswirkungen wird die Einstufung in vielen Bereichen und Anwendungen haben, auch dort wo Titandioxid gar nicht eingeatmet werden kann.

Beispielsweise ergeben sich gravierende Konsequenzen im Recycling- und Abfallbereich: Produkte, die mehr als 1 % Titandioxid enthalten, werden zu gefährlichem Abfall. Dies betrifft zum Beispiel die Entsorgung rund der Hälfte aller Kunststoffprodukte und Bauschutt. Eine aktuelle Studie der Kunststoffindustrie, der Pigmenthersteller und der Recycler zeigt, dass in Deutschland beispielsweise etwa 400.000 t Kunststoffe wegen der Einstufung zukünftig nicht mehr recycelt werden können.

Hintergrund

Auslöser für die Diskussion zur Einstufung von Titandioxid sind Studien an Ratten, die so hohen Konzentrationen an Titandioxid-Staub ausgesetzt waren, dass dies zu sogenannten Lungenüberladungen durch das Einatmen von Staubpartikeln führte. Solche Studien können nach Ansicht von Experten nicht auf den Menschen übertragen werden. Epidemiologische Studien über mehrere Jahrzehnte geben keinen Hinweis auf negative Auswirkungen in der Anwendungspraxis.

Titandioxid ist das am häufigsten verwendete Weißpigment und wird seit Jahrzehnten sicher verwendet. Aufgrund seiner einzigartigen technischen Eigenschaften wird es breit und vielfältig in nahezu allen Bereichen und Anwendungen eingesetzt, am häufigsten in Farben, Lacken, Kunststoffen und in Papier. Darüber hinaus wird es zur Farbgebung in Kosmetik, Lebensmitteln, Pharmazeutika, Bauprodukten oder Email und Keramik genutzt. Titandioxid ist in vielen dieser Anwendungen nicht 1:1 zu ersetzen.

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